Don’t stop believing!

5 08 2010

Am Samstg, 31. Juli bin ich in die Schweiz zurückgeflogen. Meine sechs Monate als Kiva Fellow gingen damit zu Ende. Die Erlebnisse in dieser Zeit auf sinnvolle Art und Weise zusammenzufassen ist fast nicht möglich. Am besten findet ihr es selbst heraus! (kleiner Hinweis: ihr werdet es irgendwo zwischen fantastisch und sagenhaft, lehr- und erlebnisreich,  inspirierend und bereichernd finden).

Für mich hört mit diesem Eintrag wohl auch die Zeit als Blogger auf, zumindest für den Moment. Wie ich gelernt habe machen sich Aufzählungen in einem Blog ganz gut, vor allem natürlich am Ende von etwas (man denke nur an all die Jahresrückblicks-Ranglisten). Hier also ein paar Aufzählungen:

Danken:

Ein Dank gilt folgenden Leuten (nicht abschliessend):

  1. An alle die hier mitgelesen und mitkommentiert haben! Ins Leere hinaus zu schreiben wäre frustrierend gewesen, danke, dass ihr gelegentlich hier vorbeigeschaut habt!
  2. An meine liebe Freundin, die immer ein offenes Ohr für die Hochs und Tiefs des Kiva Fellows hatte und die Dinge mit einer gewissen Distanz jeweils wieder ins rechte Licht rückte!
  3. An Google, Skype, Leo und all die anderen Softwaren (ist wahrscheinlich kein richtiges Wort, aber gefällt mir), welche mir sehr halfen (unter anderem) Sprachbarrieren und Distanzen zu überwinden!

Schätzen:

Dinge, die ich schätzen gelernt habe (nicht abschliessend):

  1. Sicherheit: Über allem steht die Sichherheit. Das tönt unsexy und altmodisch und ist wohl das, was wir hier in Europa für am selbstverständlichsten halten. Ist es aber nicht.
  2. Bildung: Eine oder auch mehrere Sprachen beherrschen, schreiben können, rechnen, ein bisschen was über die Welt wissen. Das alles könnte ich nicht, wenn es mir nicht jemand beigebracht hätte. Vielen bringt es niemand bei.
  3. Strom: Kerzenlicht ist nur die ersten zwei Tage romantisch, nachher einfach nur mühsam…

Bewerben:

Wäre doch super, wenn sich eine(r) von euch als Kiva Fellow bewerben würde. Wichtige Eigenschaften (ihr ahnt es, nicht abschliessend):

  1. Entdeckungslust: Es gibt so viele Orte, Menschen und Geschichten zu entdecken als Kiva Fellow! Die Einblicke sind tiefer als man sie als Tourist je hätte.
  2. Geduld: Ob Bürokratie, „südländische“ Arbeitsweise, ungenügende Infrastruktur, Übersetzungsprobleme; ein Kiva Fellowship erfordert Geduld, viel Geduld!
  3. Optimismus: Die Armut in gewissen Gegenden mag unüberwindbar erscheinen, die Schritte hin zum Erfolg mögen klein sein; den Kopf in den Sand stecken gilt nicht, Optimismus ist gefragt! Hilft (gepaart mit ein wenig Naivität) auch beim Zugehen auf wildfremde Menschen.

In diesem Sinn schliesse ich diesen Blog mit dem Lied, welches 29 Kiva Fellows Ende Januar 2010 in einer Karaoke Bar irgendwo in San Francisco trällerten und das sozusagen zur Hymne meines Fellowships wurde: „Don’t stop believing!“





Gar nicht so einfach!

26 07 2010

Ein wichtiges Thema im Feld der Mikrokredite ist es, die Kunden zu schützen. „Vor was?“ denkt mein werter Leser jetzt vielleicht und ich kann das gut verstehen. Ich bin in der Schweiz aufgewachsen und wurde irgendwie in ein Umfeld hineingeboren, wo man mit Geld umzugehen weiss. Vor was also soll man die Kunden schützen? Vor Überschuldung zum Beispiel. Oder vor intransparenten Preisplänen zum Beispiel (schon naheliegender, finde ich). Oder vor „unangebrachtem“ Geldeintreiben („Moskau Inkasso“ lässt grüssen). Weiters sollen sich die Bankmitarbeiter ganz allgemein ethisch korrekt aufführen, Beschwerdemöglichkeiten vorhanden sein und die Kundedaten geschützt werden. So, ein bisschen holprig aber in der nötigen Kürze habe ich sie vorgestellt, die 6 Prinzipien des Kundeschutzes. Nun mag man also denken, diese Prinzipien seien teilweise doch kaum nötig und wenn doch, dann seien sie bestimmt einfach durchsetzbar.

Bai-Tushum gibt sich alle Mühe, diese Prinzipien zu befolgen. Dass das in der Praxis dann manchmal aber gar nicht so einfach ist, zeigte sich letzten Freitag. Wir waren in Narin, der Hauptstadt (im Grunde ist Narin einfach ein riesengrosses Kaff) der gleichnamigen Provinz im Süden Kirgistans, um den dortigen Mitarbeitern Kiva näher zu bringen. Dann wollten wir das Ganze auch gleich im Feld testen! Also besuchten wir eine alte Frau, die sich für einen Kredit beworben hatte. Sie wohnt mit ihren zwei Enkelkindern in einem sehr einfachen Haus; die Kinder hats längst schon nach Bishkek gezogen; der Mann ist auf der Alp um etwas dazuzuverdienen. Zu den paar Tieren, welche sie schon hat, möchte die Frau noch einige Ziegen hinzukaufen. Erstaunt war ich schon, als ich erfuhr, dass sie vor ein paar Wochen mit einer anderen Bank ebenfalls einen Kredit abschloss. Genau so schlittert man ja in Überschuldung hinein. In Kirgistan gibt es eine zentrale Informationsstelle, wo jeder Kredit erfasst wird, um eben diese Situationen zu verhindern. Allerdings werden dort in der Regel nur Kredite von mehr als ca. 750 Franken gemeldet. 750 Franken sind ja Peanuts denkt sich auch in Kirgistan so manch einer, für eine alte mittellose Frau in den Bergen Narins stimmt das aber natürlich nicht! Da riskiert man also schon mal, mindestens eins der sechs Prinzipien zu verletzen.

Wirklich erschreckend war es aber zu merken, dass es den Kreditagenten trotz sichtlicher Mühe nicht gelang, der Frau wirklich beizubringen, was so ein Kredit genau ist und wie er funktioniert. Die Frau hat mehr als ein halbes Jahrhundert im real existierenden Sozialismus gelebt, ihre ganze Bildung fusste auf diesem Wirtschaft- und Gesellschaftsbild und vom Ende des Sozialismus hat sie wohl vor allem gemerkt, dass das Geld knapp wurde. Wenn jetzt Leute wie diese Bankangestellten kommen und ihr Geld geben wollen, liegt es nahe, dies als Fürsorge anzusehen, die wohl vom Staat kommt. Es ist in der Praxis unglaublich schwer, einer Frau mit dieser Vergangenheit, die zum ersten Mal einen Kredit aufnimmt, nur schon das Allergrundsätzlichste zu vermitteln: dass das Geld zurückbezahlt werden muss, inklusive Zinsen. In einem solchen Umfeld braucht es jedes einzelne der sechs Prinzipien des Kundenschutzes!





Son Kul

21 07 2010

Letztes Wochenende verbrachte ich mit ein paar Freunden in Son Kul, einem Bergsee auf 3’000 Metern über Meer. 100% Kirgistan, mehr gibts dazu nicht zu sagen!

Die perfekte Form: kirgisische Jurte

Ein Fall für zwei: störrischer Esel

In der Schweiz noch nie gesehen, in Son Kul zu Tausenden: Edelweiss

In den Bergen zuhause: Hirtenmädchen

Des Kirgisen beste Freunde: Pferde

Unsere äusserst nette Gastfamilie

Last but not least: unsere vergnügte Reisegruppe





Ein Monster namens Korruption

20 07 2010

Kirgistan ist eines der korruptesten Länder der Welt. Im Corruption Perception Index 2009, schafft es das Land gerade mal auf Rang 162 von 180 bewerteten Ländern! Das wusste ich ja alles als ich vor zweieinhalb Monaten nach Bishkek kam um als Kiva Fellow zu arbeiten, aber wie sich diese Tatsache im Alltag äussert, das musste ich erst noch herausfinden.

Um es vorweg zu nehmen: ich musste in den letzten zehn Wochen keinen einzigen Beamten bestechen (was mich ehrlich gesagt ein wenig überrascht hat). Anzeichen von Korruption habe ich jedoch viele gesehen. Ein recht verstörendes Erlebnis war, als ich von meinen kirgisischen Freunden erfuhr, dass viele Vollzeit arbeiten und daneben ihr Studium abschliessen. Ich war immer beeindruckt von Leuten, die nach einem langen Arbeitstag noch die Energie haben, sich stundenlang hinter Bücher zu knien; ich würde das nicht lange schaffen. Als ich das meinen Freunden sagte lachten sie bloss und erklärten mir, dass es so schwierig nun auch wieder nicht sei die Prüfungen zu bestehen: “Anstatt das ganze Jahr zu studieren bezahle ich meinen Professor, wenn die Prüfungen nah sind! Das ist Alles was es braucht. Alle anderen machen es gleich…”. Wow!

Professoren sind nicht die Einzigen, die ihren Lohn mit Bestechungsgeldern aufbessern. In einem Land wo der (mittlerweile Ex-) Präsident im Verdacht steht, ein riesiges Netzwerk aus Korruption und Vetternwirtschaft aufgebaut zu haben,  ist Bestechung zur Regel statt zur Ausnahme geworden. Andere Faktoren, die Korruption fördern, sind:

  • Tiefe Löhne für Beamte, was es verlockend (und manchmal notwendig) macht, ein „Zusatzeinkommen“ zu generieren
  • Eine schwache nationale Identität, was die Hemmschwelle senkt, den Zentralstaat zu betrügen
  • Eine wuchernde Bürokratie, was den Beamten erst die Möglichkeit gibt, Abkürzungen zu den offiziellen Verfahren anzubieten
  • Wenig Transparenz, da es an unabhängigen Medien mangelt, welche Missstände aufdecken
  • Eine gewisse Gleichgültigkeit und Abgestumpftheit unter der Bevölkerung

…um nur einige zu nennen. All diese Faktoren sind in Kirgistan anzutreffen.

Was können Mikrokredite zum Kampf gegen Korruption beitragen? Zuerst einmal ist es im Eigeninteresse jeder MFI (Mikrofinanz-Institution), Massnahmen zu ergreifen, die verhindern, dass ihre Angestellten in korrupte Machenschaften verwickelt sind.  Insbesondere ist ein hoher Grad an Transparenz gegenüber allen Interessengruppen notwendig, um internationale Investoren anzuziehen. In eine MFI, welche ihre Praktiken verschleiert, will niemand investieren.

In einem grösseren Rahmen können Mikrokredite aber auch den Kreditnehmern ermöglichen, ein Leben ohne (oder zumindest mit weniger) Korruption zu führen. In einem Umfeld, wo man Jobs oft nur bekommt, wenn man die richtigen Leute kennt und Gefälligkeiten anbietet, ist berufliche Selbständigkeit oft die einzige Alternative für jene, die von diesen Zirkeln ausgeschlossen sind (sei es mangels Vitamin B oder dem Widerwillen, jemanden zu bestechen). Mikrokredite, falls unbürokratisch vergeben, geben jeder willigen Person die Möglichkeit, ihre Situation zu verbessern. Ein wichtiges Mittel im Kampf gegen Korruption ist das Anbieten von Alternativen! MFIs wie Bai-Tushum bieten diese Alternative an.





Kleiner Aufsteller gefällig?

13 07 2010

Es kommt ja manchmal vor, dass einem die kleinen Sorgen den Blick auf das Wesentliche vernebeln. Dabei ist doch eine Sache wie Kiva wirklich Grund genug zur Freude. Dazu genügt ein Blick auf diesen Thread des Blogs Kivafriends: Best Smiles. Ein Blick darauf und es geht einem wieder besser. Lachen ist ansteckend!

Eine kleine Auswahl von wunderbaren Profilbildern:






Fantastischen Neuigkeiten aus Bishkek

7 07 2010

Manchmal passieren gute Dinge über Nacht. Letzte Nacht war es wieder so weit: nachdem wir bei Bai Tushum am Montag und Dienstag die ersten Profile von Kleinstunternehmern auf unser Kiva-Portal hochgeladen haben, wurden diese von Kiva in der letzten Nacht für gut befunden und publiziert! Die Freude heute Morgen in unserem Büro war dementsprechend gross! Nach einer recht langen Vorbereitungszeit ist nun Bai Tushum endlich Mitgleid der Kiva Familie.

Sabira Ismailova heisst die erste Kundin, deren Kredit von Kiva-Lendern finanziert wurde:

Unsere Kiva-Pionierin wird mit ihrem Kredit Hühner und Küken kaufen

Damit auch meine werten Leser die Chance haben, zu den ersten Finanzierern eines Bai Tushum Kunden zu gehören, verweise ich gerne auf jene zwei Untzernehmer, die noch nicht voll finanziert wurden: Damira Tynybekova, deren Auslagen nach einem Unfall ihres Sohnes stark stiegen, und Nurlan Kanaev, dessen Quartierladen überfallen wurde und den er nun wieder mit Produkten ausstatten will. Sie und weitere Bai Tushum Kunden lassen sich finden, indem man im Lend-Bereich „Bai Tushum“ ins Suchfeld eingibt (alternativ auch einfach auf diesen Link hier klicken).

Bai Tushum versucht mit seinem Kiva-Produkt, Unternehmer in einer speziell schwierigen Situation zu unterstützen.  Un diese Kunden haben denn auch handfeste Vorteile, wenn ihre Darlehen voll von Kiva-Lendern finanziert werden: sofern sie ohne Zahlungsrückstzände zurückzahlen, erstattet ihnen Bai Tushum 5% Zinsen zurück, so dass ihre Zinsbelastung noch ca. 22% statt 27% beträgt! Damit gehören wir zu einer kleinen Zahl von Kiva Partnerinstitutionen, die von den finanziellen Vorteilen durch die Zusammenarbeit mit Kiva (zinslose Darlehen) etwas an ihre Kunden weitergeben!

Eine stolze Marketingabteilung zusammen mit dem Kiva Fellow

Und als ob das nicht genug wäre erfahr ich grad in diesem Moment auch noch, dass wir endlich eine richtige Kiva-Koordinatorin erhalten! Bishher kümmerten sich verschiedene Leute bei Bai Tushum so nebenbei um Kiva und es hat mich einiges an Zeit gekostet aufzuzeigen, dass möglichst früh ein vollwertiger Koordinator her muss. Letzte Woche waren dann Vorstellungsgespräche, heute wurde entschieden, und morgen (!) fängt Nazira an! Das stimmt mich zuversichtlich, dass nach meiner Abreise in dreieinhalb Wochen nicht das komplette Kiva-Chaos ausbricht bei Bai Tushum. Welch ein Tag!





Die letzten 4 Wochen

5 07 2010

Lange ist’s her, als ich an dieser Stelle meine ersten vier Wochen als Kiva Fellow resümierte. Es ging in diesem Artikel darum, wie sich die Freude, ein Kiva Fellow zu sein, nach einem ersten Hype und der darauffolgenden Ernüchterung auf einem normalen Level einpendelt. Mittlerweile bin ich bei meinen letzten vier Wochen angekommen! Und für diese letzten Wochen ist meine Freude über meine Aufgabe wieder auf einem normalen, sprich recht hohen, Niveau!

Das ist nicht so selbstverständlich. Die letzten paar Wochen waren nicht wirklich prickelnd: Angefngen bei den Verständigungsschwierigkeiten, wenn ein  nicht-russisch-sprechender Fellow auf kaum-englisch-sprechende Mitarbeiter trifft. Über die mangelnden personellen Ressourcen, die dem Projekt Kiva zur Verfügung gestellt wurden (in diese Tagen interviewten wir hier mögliche Kiva Koordinatoren für Bai-Tushum, es tut sich also was). Dann war da auch die „Entfremdung“ von der eigentlichen Aufgabe, da ich in meinen 8 Wochen hier keinen einzigen (!) Kleinstunternehmer traf, was mich so im Büro hockend dann schon sinnieren liess, was ich hier eigentlich mache. Das ganze gepaart mit den politischen und ethnischen Unruhen und der damit verbundenen Unsicherheit, ob ich in 24 Stunden überhaupt noch in Kirgistan oder schon ausgereist bin, trübten das Bild vom unbeschwerten Weltverbessererdasein eines Kiva Fellows.

Issyk Kul

Ein gemütliches Wochenende am Issyk Kul, dem riesigen See im Nordosten Kitgistans

Aber was solls, die lage in Kirgistan ist mittlerweile wieder viel besser und heute schalten wir den ersten Kunden von Bai-Tushum auf Kiva auf (da Kiva jedes Profil ejweils noch auf Fehler überprüft, geht er evtl. nicht schon heute online)! In den nächsten Wochen werden wir noch das ein oder andere Unternehmerprofil aufschalten (und Kunden besuchen). Und wenn ich in meinen letzten Wochen auch noch den neuen Kiva Koordinator schulen kann, dann bin ich zuversichtlich, dass mein Einsatz hier auch Früchte trägt. Und mit diesen Perspektiven stellt sich auch wieder dieses Gefühl ein, das ich schon vermisst hatte: dass man als Kiva Fellow Einblicke in das Leben in fernen Ländern gewinnt, die sonst nie möglich wären. Dass man einen Beitrag daran leistet, die Armut zu bekämpfen udn dabei Spass haben kann! Kurz: dass Kiva Fellows das Coolste machen, was man machen kann!





Die Tage danach

28 06 2010

Schon mehr als 2 Wochen ist es her, dass im Süden Kirgistan heftige ethnische Unruhen ausbrachen. Neben geschätzten 2’000 Toten trieb die Gewalteskalation ca. 400’000 Menschen, v.a. Usbeken, in die Flucht. Ein Teil davon schaffte es über die nahe usbekische Grenze, andere suchten an der usbekischen Grenze, aber noch auf kirgisischem Boden Zuflucht, wieder andere kamen irgendwo bei Verwandten unter. Nachdem die humanitäre Hilfe anfnags nur schleppend anlief (vor allem weil die Sicherheit der Helfer nicht gewährleistet war), so klappt das mittlerweile besser. Hilfe wurde nicht nur aus dem Ausland geschickt, sondern auch von Kirgisen v.a. im Norden des Landes: in Bishkek gab es eine Sammelstelle wo jedermann Hilfsittel liefern konnte. Und auch Unternehmen leisteten Hilfe, darunter „mein“ Bai-Tushum. Die ganze vorletzte Woche war unser Büro mit tonnenweise Lebensmitteln, Medizin, Decken und auch ein bisschen Spielzeug gefüllt.

In den letzten Tagen hat sich die Lage im Süden soweit beruhigt, dass viele Flüchtlinge zurückkehren konnten. Die Spannung in der Luft war aber enorm, befürchteten viele doch neue Gewalt, auch in Bishkek. In den Tagen vor und nach der gestrigen Abstimmung über eine neue Verfassung  musste mit weiteren Störmanövern gerechnet werden. Dass ist auch der Grund, warum Kiva entschied, mich und Eva für ein paar Tage nach Almaty, Kasachstan, zu schicken. Wir sind hier in einer viel sicherern Gegend und können gleichzeitig auch noch einem kasachischen MFI helfen, mit Kiva vertraut zu werden. Wenn es die Lage in Kirgistan zulässt, werde ich Ende Woche zurückkehren. Dass die gestrige Abstimmung scheinbar problemlos über die Bühne ging stimmt mich schon mal sehr zuversichtlich.





Neues aus Kanitverstan

14 06 2010
Brennendes Haus in Osch (REUTERS)

Mikrokredite sind für mich im Moment weit in den Hintergrund gerückt: nicht nur König Fussball macht meinem eigentlichen Hierseinsgrund Konkurrenz, sondern vor allem die politische Situation hier in Kirgistan. Seit der Revolution Anfang April war die Lage angespannt, in der Nacht auf Freitag hat sich die Spannung dann entladen: In Osch, der zweitgrössten Stadt Kirgistans und Zentrum des Südens, eskalierte die Gewalt zwischen Kirgisen und ethnischen Usbeken, die in der dortigen Region eine bedeutende Minderheit stellen: seit drei Tagen ziehen Gangs junger Kirgisen durch die Stadt, plündern, setzen Häuser von Usbeken in Brand, und machen scheinbar systematisch Hatz auf Usbeken: es gab wohl Hunderte Tote, Tausende Verletzte, Zentausende Flüchtlinge. Soweit die traurige Bilanz.

In Bishkek merkt man von all dem nicht viel, es herrschen Ruhe und Ordnung. Aber an viel anderes kann ich nicht denken, ständig informiere ich mich über die neuste Entwicklung im Süden und versuche im Gespräch mit Arbeitskollegen und durch Hintergrundberichte etwas mehr über die Gründe dieser Gewalt zu erfahren. Die Unruhestifter kämen aus dem Lager des Ex-Präsidenten und versuchten, die auf den 27. Juni angesetzte Abstimmung über eine neue Verfassung zu sabotieren (was ihnen wohl gelungen ist, unter diesen Umständen ist an eine geordnete Abstimmung ja nicht zu denken).  Diese Kreise hätten junge Kirgisen, die von einer schwindelerregend hohen Arbeitslosigkeit geplagt sind, angestiftet und mit Alkohol hemmungslos gemacht. Andere weisen auf die Ungleichgewichte zwischen Usbeken und Kirgisen im Süden hin: die Usbeken seien so viel reicher, was einige damit erklären, dass sie stark in den Drogenhandel involviert seien (Osh ist ein wichtiger Umschlagplatz afghanischer und tajikischer Drogen, Seidenstrasse 2.0 sozusagen). Ein angeblicher Überfall von Usbeken auf kirgisische Studenten habe dann das Fass zum explodieren gebracht. Da gerade in dieser Region Kirgistans Klanstrukturen das öffentliche Leben noch immer extrem prägen, scheint sich so manch ein Polizist auch auf die Seite der Randalierer zu stellen, was ebenfalls nicht zur Beruhigung der Situation beiträgt. Überhaupt scheint es die Übergangsregierung in den vergangnenen zwei Monaten nicht ansatzweise geschafft zu haben, Ordnung  diese Region zu bringen…

Was sie genau wollen bleibt verborgen: Gangs in Osch, 2010 (REUTERS)

Was sie genau wollen bleibt verborgen: Gangs in Osch, 2010 (REUTERS)

Wenn jetzt die obige Aufzählung ein wenig wild erscheint, dann täuscht dieser Eindruck nicht. Noch immer blicke ich nicht ansatzweise durch, was nun wirklich die Gründe für diese bürgerkriegsähnlichen Zustände sind. Wahrscheinlich ist es eine Mischung aus einer Vielzahl von Ursachen. Doch reichen „Ursachen“, um solch blinde Gewalt zu erklären? Müsste nicht irgendwo ein handfestes Ziel stehen, für das gekämpft wird? Ich sehe keins. Die impulsive Natur der Kirgisen gepaart mit ein paar Gläsern Vodka kann dazu führen, dass sie unvermittelt und ohne ersichtlichen Grund einem Gewaltexzess verfallen. Die Lage bleibt deshalb absolut unberechenbar: ob das Strohfeuer in einer Woche gelöscht ist oder ob ein Flächenbrand das ganze Land erfasst hat, Prognosen sind wohl unmöglich. Kirgistan kann man nicht verstehen.





Bishkek und der Rest, zwei Welten

7 06 2010

In den ersten vier Wochen meines Aufenthalts in Bishkek hat mich vor allem erstaunt, dass hier die Armut kaum sichtbar ist. Bishkek schien mir manchmal näher an der Schweiz als an Senegal. Wir haben hier derart viele Annehmlichkeiten von denen ich in Afrika nicht mal zu träumen gewagt hätte: In unserer Wohnung haben wir einen Kochherd (verglichen mit einer Feuerstelle in Senegal), heisses Wasser gibts ebenfalls (wobei von Mitte Mai bis Mitte Juli wie jedes Jahr die Wasserleitungen unterhalten werden und nur mit einem speziellen Boiler heisses Wasser möglich ist), das WC funktioniert ohne Probleme, Internetanschluss gehört zur Standardausstattung etc… In den Strassen Bishkeks fahren relativ neue Autos (vorzugsweise BMWs und Mercedes) welche nur einen Bruchteil der Kilometer auf dem Buckel haben, die ihre afrikanischen Pendants abgespult haben. Kurz: In meiner neuen Umgebung scheint es viel mehr Wohlstand zu geben als in Afrika.

Bishkek, mein Kirgistan

Als ich später erfuhr, dass das Pro-Kopf-Einkommen in Kirgistan eines der tiefsten der Welt ist (850 Dollar, was grad mal für den 184 Rang reicht, nur wenige Plätze vor Senegal) fragte ich mich schon, wie diese Tatsache mit meinen Eindrücken in Bishkek vereinbar ist! Verallgemeinerungen gehen als meisten schief, so auch in diesem Fall. Von der Hauptstadt auf den Rest des Landes zu schliessen funktioniert nicht. Gerade in Entwicklungsländern, wo nicht genug Reichtum vorhanden ist um regionale Differenzen auszugleichen, wird dies besonders offensichtlich. Nach einem Besuch in Dakar, der pulsierenden Hauptstadt Senegals, auf den Rest des Landes zu schliessen wäre auch schiefgegangen! Von aussen denkt man halt oft in Länderkategorien und berücksichtigt die massiven regionalen Unterschiede im Land nicht. Und dass das Armutsniveau zwischen den Regionen extrem unterschiedlich ist, zeigt die folgende Grafik:

Dioe Armut differiert extrem zwischen den einzelnen Regionen Kirgistans.

Gründe für diese riesigen Unterschiede kann es viele geben: zum einen liegt Bishkek viel günstiger als die restlichen Regionen (Bishkek liegt 800 Meter über Meer während 94% Kirgistansn über 1000 Meter liegen, mit einer durchschnittlichen Höhe von 2750 Metern!). Zudem hilft Bishkek die Nähe zum Nachbarland Kasachstan, welches schnell wächst und damit viele Absatzmöglichkeiten bringt.

Mikrokredite können dazu beitragen, die Armut in den entlegenen Regionen zu mindern und die eklatanten regionalen Unterschiede abzubauen:  Meine MFI Bai Tushum ist in allen Regionen Kirgistans präsent. Angesichts der obigen Grafik kann es aber nicht erstaunen, dass fast 90% der Kunden in ländlichen Gebieten leben. Mit Mikrokrediten können auch diese Leute erreicht werden, welchen sonst so viele Möglichkeiten verwehrt sind. Auf Kiva kann jeder seinen Beitrag leisten, dass Armut in allen Regionen dieser Länder schwer zu finden wird, nicht nur in der Hauptstadt!